Der bekannte Fotograf Marcello Armandi lief wutentbrannt
durch seiner eigenen Galerie und blieb plötzlich kopfschüttelnd vor einer riesigen Fotografie stehen. Nervös strich er sich durch seine
blonde Haarpracht. Er befand sich dort alleine mit seiner persönlichen Assistentin, um die Arbeiten seiner anderen Mitarbeiter
zu überprüfen. Und er war alles andere als zufrieden.
„Wofür habe ich bloß
ein brandneues Team von Vollidioten zusammengestellt?“
Nur Sondra Stein, 28 Jahre alt, war aus dem alten Team übrig
geblieben. Trotz ihres jungen Alters vertraute er ihr blind. Sie hatte sich mit
Wissen und Menschenkenntnis ihrem Chef gegenüber die wichtige Funktion seiner „rechten
Hand“ erarbeitet. Auf Sondra wollte und konnte Cello nicht verzichten.
Jetzt stand sie überlegt ruhig ganz in seiner Nähe und
zerbrach sich ihren hübschen Kopf, wie sie ihren Chef auf den Boden der
Tatsachen zurückholen konnte. Schon im Vorfeld bezweifelte sie stark, dass sein
neu eingestelltes Team seinen extrem anspruchsvollen Wünschen erfüllen könnte.
Nur, ihm dies mitzuteilen, erforderte eine ganze Menge Sensibilität.
Wütend trat Cello mit dem Fuß vor die Wand und Sondra zuckte
erschrocken zusammen. Sie wusste, wie cholerisch er sein konnte, wenn ihm
irgendetwas nicht gefiel. Kurz danach war er aber auch wieder der gutmütigste
und verständnisvollste Chef, den sie je hatte. So sind Künstler nun einmal.
Cellos erboster Gemütszustand nutzte nur in diesem Augenblick niemanden.
Sondra hatte ihre Unterlagen fest an ihren Körper gedrückt
und strich sich verunsichert eine blonde Haarsträhne hinter ihr Ohr, da
klingelte das Telefon. Sie zögerte einen Augenblick, entschied sich aber, das
Gespräch anzunehmen.
„Fotoatelier Armandi, Sondra Stein am Apparat. Was kann ich
für Sie tun?“
Während sie ihre freundlichen Worte aussprach, blickte sie
zu ihrem Chef hinüber, der ihr immer
noch seinen Rücken zuwendete. Sein wippender Fuß sprach Bände.
„Entschuldigen Sie den späten Anruf. Publik Relation
Oberhausen, Natascha Beck hier, Hallo. Ich würde gerne mit Herrn Armandi
persönlich sprechen. Es handelt sich um eine private, wichtige Angelegenheit.“
Sondra schluckte. Einen unpassenderen Moment konnte es kaum
geben.
„Warten Sie bitte einen Augenblick.“ Damit hängte sie die
Anruferin in eine Warteschleife.
Langsam lief sie auf Cello zu. „ Ehm, das Gespräch kommt
jetzt vielleicht nicht passend, hört sich aber echt wichtig an. Publik Relation
aus Oberhausen. Eine gewisse Natascha Beck möchte Sie gern sprechen Chef.“
Cello drehte sich zu ihr um, zog fragend die Augenbrauen
hoch und gab ihr ein kurzes Zeichen, ihm den Hörer zu überreichen.
„Marcello Armandi höchstpersönlich. Sollte es nicht
wirklich wichtig sein, werde ich ohne ein weiteres Wort einfach auflegen, du hast
exakt eine Minute.“
Augenblicklich erscholl aus dem Hörer ein glockenklares
Lachen.
„Cello, alter Freund, du scheinst dich überhaupt nicht
verändert zu haben. Hier ist deine Freundin Natascha. Sag jetzt noch nichts,
meine Minute läuft. Ich habe hier ein Angebot für dich vorliegen, dass du auf gar
keinen Fall abschlagen kannst.
Die Stadt Oberhausen sucht für ihr Wahrzeichen, den
Gasometer, eine geeignete Person, um eine exquisite Ausstellung dort aufleben
zu lassen. Ich bin für sämtliche PR Angelegenheiten beauftragt und mir fällt
nur eine einzig geeignete Person dafür ein. Der begnadete Fotograf Marcello
Armandi! Was sagst du dazu? Du bekommst zwei Etagen, um deine eigenen Bilder
dort zu platzieren. In der dritten wird
eine großartige Lichtshow durchgeführt,
die bis unters Dach des
Gasometers führt, um deine guten Stücke noch mehr herauszuheben. Komm nach
Oberhausen! Pack sofort deine Koffer, wir treffen uns bei mir und besprechen
sämtliche Details. Kannst du dazu wirklich nein sagen? GASOMETER OBERHAUSEN!
Das ganze läuft unter dem Namen „ Der schöne Schein“. Also, wann bist du bei
mir?“
Cello hörte ihre Worte, schwieg einen Augenblick, sah sich noch einmal um und
entschied sich spontan.
„Ich bin wirklich beeindruckt, das du an mich gedacht hast.
Wenn alles profimäßig durchgeführt wird, packen meine Assistentin Sondra und
ich sofort unsere Sachen und sind morgen schon bei euch in Oberhausen.“
Natascha war hoch erfreut. „Genauso hatte ich dich in
Erinnerung. Du wirst begeistert sein! Dann bis morgen. Ich reserviere euch zwei
Zimmer in einem centronahen Luxushotel. Reservierungen schicke ich dir per
Mail. Ich freu mich wirklich, dich wieder zu sehen und verspreche dir jetzt
schon eine einzigartige Ausstellung. Bis morgen dann.“
Sein Gesichtsausdruck hatte sich während des kurzen
Gespräches völlig entspannt. Er war wieder er selber.
Cello lockte Sondra mit einer frechen Fingerbewegung zu
sich. Erstaunt näherte sich Sondra und ließ sich von ihrem Chef in den Arm
nehmen.
„So, mein Mädel, du hast es gehört. Ich bringe dich jetzt
sofort nach Hause, dort packst du deine Koffer und wir fahren diese Nacht noch
nach Oberhausen. Dort bereiten wir eine Ausstellung nach meinem Geschmack
durch, im Gasometer! Wunderbar! Sollen doch diese Schwachmaten hier alles
selber wieder in Ordnung bringen.“
Ohne Sondra auch nur gefragt zu haben, drückte er ihr einen
dicken Schmatzer auf die Wange.
Sie errötet ein wenig.
Oberhausen, warum nicht? Von dieser Stadt hatte sie schon viel gehört.
Und nun durfte sie an der Seite ihres Chefs eine Ausstellung für ihn mit
organisieren! Ja, sie freute sich drauf, obwohl er sie ja hätte fragen können,
ob sie bereit war, mitzukommen….
Als sie ihren Chef jedoch vor lauter Freude durch die
Galerie hüpfen sah, steckte er sie mit seiner Fröhlichkeit an. Ja, seine
Entscheidung war bestimmt richtig, Oberhausen, wir kommen!
Konzentriert lief Sondra, bewaffnet mit Stift und Zettel,
hinter Natascha und Cello her. Sie fand einfach nicht die passenden Worte für die Wahl des runden, ca. 100 Meter
hohen Gasometers. Herrlich oder fantastisch oder einfach himmlisch? Genau der
passende Ort für die hervorragenden Fotografien ihres Chefs!
Die von ihm
ausgesuchten Stücke sollten schneckenhausartig in der Runde aufgestellt werden,
sodass der Besucher einem Weg folgen konnte, ohne sich zu verlaufen. Das Ganze
im Angesicht alter Industriekultur. Zwei Etagen für Cellos hervorragende Stücke
! In der unteren Etage sollte auch die Eröffnungsparty stattfinden. Die zweite Etage bekam einen anderen,
besonderen Hauch. Hier bevorzugte Cello seine schwarz/weiß Akte in
abgedunkelter Atmosphäre. Jede einzelne Fotografie wurde speziell beleuchtet.
Auch die dritte Etage
sollte ihm zur Verfügung gestellt werden, hier beschäftigten sich schon
sämtliche Arbeiter mit einer ausgefallenen Lichteinlage, die sich bis an die
Decke des Gasometers hinaufzog. Fantastisch, wirklich umwerfend. Sondra war begeistert,
aber ihr fehlte ein persönlicher Kick.
Natascha schien eine wirklich gute Freundin ihres Chefs zu
sein und ein Profi, was seine Wünsche in sämtlichen PR Angelegenheiten betraf.
Gestern Abend erst hatten sie zu viert einen Centrobummel
gemacht. Niklas, ein weiterer Freund von Natascha, hatte sie ebenfalls
begleitet. Er arbeitet auch an Cellos Projekt. Niklas überwachte sämtliche
technische Details, ihm unterlagen auch die wichtigen Lichteffekte. Er war
nicht nur ein echt witziger Typ, sondern sah dabei auch noch sehr gut aus. Er
trug sein dunkelbraunes Haar etwas länger und wenn er Sondra mit seinen
stahlblauen Augen ansah, verspürte sie kleine Schmetterlinge im Bauch. Niklas
hatte sie in sein Sportstudio eingeladen, was sie dankend ablehnte, obwohl sie
heimlich seinen durchtrainierten Körper bewunderte.
Plötzlich blieben Natascha und Cello stehen. Sondra wäre
fast in beide hineingestolpert, konnte sich im letzten Moment jedoch fangen.
Eine hübsche Blondine kam hüftschwingend auf sie zugelaufen.
Jetzt setzte sie ein bezauberndes Lächeln auf und streckte Cello die Hand hin,
während sie Natascha gänzlich übersah.
„Oh, hallo, Sie sind bestimmt der begnadete Künstler, der
hier bald seine Werke ausstellt. Was haben wir Oberhausener nur für ein Glück!
Herr Armandi, darf ich mich vorstellen? Mein Name ist Nadja Livington, ich bin
für die Presse zuständig. Wäre es möglich, in den nächsten Tagen ein
Exklusivinterview von ihnen zu bekommen?“
Cello bekam keine Chance, ihre Hand zu ergreifen, augenblicklich drängte sich
Natascha zwischen ihnen. Ihre Miene
versteinerte sich und ihre Augen funkelten Nadja regelrecht an.
„Nadja, wie kannst du es wagen, ihn so etwas zu fragen?
Natürlich hat Herr Armandi keine Zeit für so einen Kinderkram, er ist beschäftigt.
Mit seiner Ausstellung!“
Natascha stand jetzt mit verschränkten Armen und
kampfbereiter Position vor Nadja.
Diese schaute trotzdem frech an ihr vorbei, zog ein Schnütchen
und klimperte Cello mit großen, blauen Kulleraugen an.
„Sie entschuldigen mich doch, Herr Armandi. Ich gebe ihnen
einfach meine Visitenkarte und wenn sie sich doch von ihrem Vormund, Frau Beck,
loseisen können, wäre ich Ihnen für ein klitzekleines Interview sehr dankbar.“
Sie zauberte ein engelsgleiches Lächeln auf ihrem Gesicht
und ließ ihre langen, gepflegten Haare provozierend über ihre Schultern
gleiten, bevor sie Cello schnell ihre Karte in die Hand drückte.
Dann drehte sie sich flugs um und verschwand.
Cello besah sich die Karte und schaute erbost zu Natascha
hinüber. „ Was war das denn jetzt? Ich bin durchaus in der Lage, meine
Entscheidungen selber zu treffen. Du hast mich ja nicht einmal vorgestellt.“
Ehe Natascha etwas erwidern konnte, stand plötzlich Niklas
vor ihnen.
„Hallo, schön, euch hier zu treffen, ich möchte mit euch
etwas besprechen.“ Niklas merkte deutlich die dicke Luft zwischen Natascha und
Cello.
Er wollte vom Thema ablenken und winkte nach hinten. „ Sag
einmal Tascha, was wollte die Hexe Nadja denn hier?“
Natascha winkte ab. „Ach irgendwie hat sie es wieder einmal
geschafft, sich hier einzuschmuggeln und wollte sich bei Cello einschmeicheln.
Ich habe sie fortgeschickt, aber nun ist Cello auf mich sauer.“
Niklas sah zu Cello hinüber. „Nicht böse sein, Meister,
aber von dieser Frau lässt du besser die Finger, sie bringt nur Ärger. Verlass
dich auf Natascha, sie kennt sie in und auswendig.“ Niklas sah von Cello zu Natascha. „Aber was ist
nun, wer möchte sich mir anvertrauen?“
Sondra drängelte sich nach vorne, bis jetzt hatte sie sich
schweigsam im Hintergrund gehalten.
„Ich übernehme das, ich wollte sowieso noch mit Ihnen
reden, Herr Porter.“
„Na dann mal, los, ich hab noch viel zu tun. Aber sagtestest
du nicht gestern Abend noch so süß Niklas zu mir?“ Lachend legte er einen Arm um Sondra und ging
mit ihr davon.
Nataschas Blick, den sie ihm sehnsüchtig zuwarf, schien er
nicht zu bemerken.
Nachdem genügend Abstand zwischen Cello und Natascha
gebracht wurde, atmete Sondra merklich auf. „Sag einmal, können sich Natascha
und diese Nadja nicht leiden?“
Niklas zuckte mit den Schultern. „Nicht leiden ist nicht
der richtige Ausdruck. Sie hassen sich regelrecht! Nadja wollte auch in die PR
Branche, hat es aber nicht geschafft und ist
zur Presse gegangen. Jetzt versucht dieses kleine Biest, immer alles zu
sabotieren, was Natascha aufbaut. Manchmal echt nervig, aber wir kennen sie
ja.“
„Ach so.“ Erschrocken überlegte Sondra, wie sie ihren Chef
vor diesen Biest schützen konnte.
Niklas puffte ihr in die Seite. „Mach dir darüber aber mal
keine Sorgen, Natascha bekommt das schon hin. Misch dich nur nicht ein, dann
läuft alles wie geschmiert.“ Er zog Sondra an ihren Haaren. „Hey, erzähl mir
mal etwas von deinem Chef, ich finde ihn fantastisch, es muss toll sein, immer
so nahe mit ihm arbeiten zu dürfen.“
„Na ja, eigentlich schon. Cello ist ein toller Mensch, nur
manchmal kommt der Künstler einfach aus ihm heraus.“
Ihr Lachen war jetzt ein bisschen aufgesetzt, hoffentlich
hatte sie nicht zu viel von ihm verraten!
„Lass uns das Thema wechseln. Sag einmal, wäre es möglich,
oben in der dritten Etage ein riesiges Lichtporträt, an den Wänden des
Gasometers, von ihm zu gestalten? Ich finde die Ausstellung ja wirklich
gelungen, aber ich würde ihm damit gerne eine Freude bereiten.“
Niklas legte seine Finger um sein Kinn. „ Hmm, du weißt, was
dies für mich bedeutet? Nicht, dass ich in den nächsten Wochen auch nur eine
Minute Zeit übrig hätte. Dies bedeutet etliche Nachtschichten für mich.“
Sondra hielt den Atem an. Niklas bewegte sich jetzt einige
Schritte nach vorne. „ Aber ich denke, es wäre zu schaffen, ja, das wäre es.“
Begeistert trat sie einen Schritt vor. „ Ich könnte dir auch
dabei helfen.“
Niklas schüttelte unmerklich den Kopf. „ Nee, nee, das
überlass bitte mir, davon hast du ja doch keine Ahnung.“
Sondra wartete noch einen Augenblick, aber nachdem Niklas in
seinen Ideen versunken war und sich nicht mehr für sie zu interessieren schien,
drehte sie sich mit gesenktem Kopf wortlos um und verschwand.
Glücklicherweise sah sie Niklas verklärten Ausdruck nicht.
Obgleich die Tage 36 Stunden hätten haben müssen und es
immer wieder Schwierigkeiten mit der Technik gab, waren alle vierwöchigen
Arbeiten zeitgemäß abgeschlossen.
Der
Voreröffnungsabend wurde mit der Rede des Oberhausener Oberbürgermeisters Klaus Wihling eingeleitet. Dieser bedankte sich bei allen Beteiligten, von den Handwerkern bis zur Technik, die es
ermöglicht haben, dass diese Ausstellung so zeitgemäß fertig gestellt werden konnte.
Zum Ende hin erwähnte er selbstverständlich auch Natascha wegen ihrer hervorragenden
PR-Arbeit und es folgte eine Lobeshymne an Cello Armandi, dem Künstler selber.
Cello fragte Sondra diesem Abend wohl tausend Mal, ob er auch gut aussehen
würde, was sie ihm freundlicherweise und mit viel Geduld immer wieder
versicherte.
Ungeachtet der Tatsache, dass er selber gerne im Mittelpunkt
stand und ein Profi eigener Reden war, wurde er immer nervöser.
Als der Oberbürgermeister nun seinen Namen aussprach und
Cello zu sich bat, drückte er Sondra sein Sektglas in die Hand und verdrehte
die Augen. „Man bekommt in diesem Laden noch nicht einmal Champagner, aber
muss eine Rede halten, danke Oberhausen.“
Lachend übernahm sie sein Glas und schubste ihren Chef nach
vorne.
Natürlich hatte Cello mit einer Ansprache gerechnet, deshalb
hatte er heimlich eine erarbeitet und sie auswendig gelernt. Diese Tatsache
würde er aber um nichts in der Welt preisgeben, sondern gab sich spontan und
witzig wie immer.
Tosender Applaus begleitete ihn auf seinen Weg zurück, jeder
wartete gespannt auf seine Fotografien.
„Ich muss mal, bin gleich wieder zurück“ rief er Sondra zu,
diese nickte nur.
An der Wand ihm gegenüber hörten ebenfalls zwei weitere
Personen, geschützt durch die Dunkelheit aufmerksam zu. Nadja stand hinter
ihrem Kameramann, der sich nun rückwärts bewegte und ihr auf dem Fuß trat.
Sie schrie leise auf. „Hör zu du Trottel, mach das nie
wieder, sonst lernst du mich kennen.“ Erbost kniff sie ihm in die Seite, doch
der junge Mann antwortete nicht und biss die Zähne zusammen. Leider wurde sie
ihm im letzten Moment an die Seite gegeben.
Zwei weitere Menschen standen ebenfalls etwas abseits und
beobachteten Cello.
Natascha lehnte mit
dem Rücken an der Wand und streichelte Niklas Schultern. Dieser hatte beide
Hände gehoben und klatschte begeistert Beifall.
Fast im selber Augenblick, als Cello dicht an ihnen
vorbeiging, schlängelte sich Natascha vor Niklas, nahm sein Gesicht in ihre
Hände und küsste ihn stürmisch. Niklas befreite sich augenblicklich, drängte
sie zurück, blickte über die Menge hinweg und sah direkt in Cellos Augen.
Unmerklich schüttelte Niklas den Kopf, während Cello weiter
seines Weges ging und nur erstaunt lächelte.
Es wurde trotz allem noch ein angenehmer und witziger Abend.
Am nächsten Tag wollte Sondra den Gasometer betreten, Cello
hielt sie jedoch davon ab.
„Irgendwie habe ich ein komisches Gefühl im Bauch, ob alles
gut geht, Sondra?“
Sie drehte sich zu ihrem Chef um und sah ihm feste in die
Augen.
„Sie sind ein wirklich begnadeter Künstler und ihre
Fotografien sind nun im Oberhausener Gasometer ausgestellt. Jeder, der die
Ausstellung bis jetzt gesehen hat, ist restlos begeistert. Was sollte
schiefgehen?“
Sondra knipste ihm ein Auge zu und ergriff seine Hand. „ Es
ist mir eine große Ehre, Sie heute Abend begleiten zu dürfen und ich lasse Sie
nicht eine Sekunde aus den Augen.“ Cello lächelte sie erleichtert an. „ Meine
bezaubernde Sondra! Was würde ich bloß ohne Sie machen? Versprechen Sie mir,
mich nicht aus den Augen zu lassen und den ganzen Abend an meiner Seite zu
verbringen?“
Noch einmal zwinkerte sie ihm zu und gemeinsam betraten sie
den Gasometer. Augenblicklich begann tosender Applaus, als den Menschen
auffiel, wer den Raum betrat. Sofort stürmten verschiedene Leute auf Cello zu
und rissen ihn von Sondra fort.
Sie blieb noch einen Moment lang am Eingang stehen und
lauschte der mystischen Musik. Wehmütig blickte sie ihrem Chef nach, der sich
nicht ein einziges Mal nach ihr umdrehte. Das macht doch gar nichts, versuchte
sie sich einzureden, schließlich ist er heute der gefeierte Künstler, ja, so
sollte es sein.
Sondra beschloss, sich alleine hinter dem ganzen Pulk auf den Weg von Cellos Fotografien zu
begeben. Es war alles so gelungen, die leise Musik im Hintergrund und das exakt
angelegte Dämmerlicht entführten sie schnell zu einer einzigartigen Reise .Sie
liebte die Fotografien ihres Chefs.
Lange blieb sie jedoch nicht allein. Ein freundlicher
Securitymensch winkte sie herbei und führte sie zu den anderen. Seufzend fügte
sich Sondra und war bald von netten Leuten, die in Feierstimmung waren,
umgeben.
Nachdem der Oberbürgermeister auch heute die Ausstellung mit einer Lobesrede eröffnete,
klopften sich sämtliche Leute auf die Schulter. Wichtige Menschen waren heute
eingeladen, das bedeutete, sämtliche Sponsoren, die Presse und alle sonst so
gewichtigen Oberhausener und Duisburger.
Der Champagner floss in Strömen und langsam lockerte sich
die Stimmung auf. Von Cellos Fotografien waren alle restlos begeistert und al
sich einig darüber, dass dies ein einzigartiges, Oberhausener Ereignis werden
würde.
Cello selber war in seinem Element. Er liebte es, von vielen
Menschen bewundert zu werden. Plötzlich klopfte ihm jemand von hinter auf die
Schulter.
„Hallo, Sie bester aller Fotografen, hätten Sie nun einen
Augenblick Zeit für mich?“ Cello drehte sich um und sah direkt in Nadjas tiefen
Ausschnitt. Unbemerkt streckte sie ihren großen Busen näher. Ihr hautenges,
schwarzes Minikleid ließ mehr erhoffen,
als etwas von ihren Kurven zu verdecken.
Er räusperte sich ein wenig. „ Sind Sie nicht die Person,
die eigentlich nicht hier sein dürfte?“ Cello blickte ihr in die Augen.
Nadja schlug reuemütig ihre Augen nieder und verzog ihren
knallroten Kussmund.“ Eigentlich, aber was bedeutet es schon. Ich lass mir von
einer PR Frau wie Natascha nichts vorschreiben und schließlich sollte es ja
ihre eigene Entscheidung sein, oder etwa nicht?“
Augenblicklich begann Nadja Cello zu nerven. „ Jetzt entschuldigen Sie,
Frau Livington, aber momentan ist mir nicht nach einem Interview, sorry.“ Er
wollte sich umdrehen und gehen.
„Nadja, bitte nennen Sie mich Nadja“ hauchte sie Cello entgegen,
während sie ihm am Arm festhielt und immer näher kam. Überdeutlich konnte er ihr schweres Parfum
riechen.
Entschlossen befreite er sich aus ihrem Griff.
„So und damit Sie ihr Handeln später nicht bereuen, möchte
ich Ihnen nun mitteilen, dass ich mich
nicht für das weibliche Geschlecht interessiere, so, da haben Sie ihre Story.“
Erstaunt wendete sich Nadja von ihm ab, kam dadurch ins
Straucheln und verlor etwas aus ihrer Tasche.
Cello wollte es sich nicht nehmen lassen und ein Gentlemen
bleiben, deshalb hob er das kleine Etwas auf.
Jetzt war es an ihm, sich zu wundern. „ Frau Livington, das
ist doch ein PR Ausweis von Frau Beck! Sicherlich wollten Sie ihr diesen gerade
wiedergeben?“
Mit hochgezogenen Augenbrauen sah er sie nun streng an.
Nadja wusste, wann es Zeit war, aufzugeben. Verlegen kramte sie in ihrer Tasche
herum. „ Ach, ja, selbstverständlich, den habe ich gerade auf der Erde
gefunden. Ich war dabei ihn abzugeben, da begegneten wir uns. Aber ich muss nun
weiter, wir sehen uns bestimmt heute Abend noch, bis später Mal.“
Cello wunderte sich,
wieso diese penetrante Frau so schnell auf ihren hochhackigen Schuhen davon
laufen konnte und steckte Nataschas Ausweis ein.
Cello vergaß diesen unerfreulichen Vorgang jedoch schnell.
Die Partystimmung hatte ihn wieder.
Mit zwei gefüllten Gläsern Champagner suchte er eine Weile
später seine Freundin Natascha auf.
Diese stand an einem Tisch gelehnt, stützte sich ab und hielt sich mit der anderen Hand den Kopf.
Cello hielt ihr eins der Gläser vor die Nase. „ Schäzeken,
so wirst du heute Abend nicht alt. Hast du dich mit einem Mann gestritten?
Vergiss ihn und fang an, mit mir den Abend zu genießen.“
Natascha lächelte ihm zu. „ Du hast Recht, her mit dem Glas.
Vergessen wir den Arbeitsstress. Auf dich, mein Held des Abends.“
Cellos Laune ließ
Natascha ihre Sorgen schnell vergessen und entschied sich, ihr den eroberten
Ausweis erst morgen zu geben.
Noch einmal traf Cello an diesem Abend auf unerfreulicher Weise
mit Nadja zusammen.
Gerade ging er mit
einem wichtigen Sponsor auf eine besondere Fotografie zu, da polterte es
fürchterlich hinter ihnen. Erschrocken drehten sie sich um und sahen gerade
noch, wie ein Mann in ein Bild von Cello hineinfiel. Nadja stand in der Nähe
mit weitaufgerissenen Augen und hatte die Hände erschrocken vors Gesicht
gelegt.
Verzweifelt rannten beide hinüber, doch die Security half
dem Mann schon hoch.
Wütend blickte Cello zu Nadja hinüber. „ Sie schon wieder?“
Nadja begann daraufhin laut aufzuschluchzen und der Mann, der gefallen war,
klopfte sich seine Sachen sauber und nahm Nadja in den Arm.
„Die junge Frau kann nichts dafür, sie ist gestolpert und
gegen mich gefallen. Ich habe das Gleichgewicht verloren und bin versehentlich
in das Bild gestürzt. Bitte verzeihen Sie mir! Aber wir sollten uns jetzt um
die junge Dame kümmern. „
Liebevoll nahm er sie daraufhin in den Arm und führte sie
davon. Nadja vergrub sich gänzlich in seine starken Arme, aber den Blick, den
sie Cello noch zuwarf, zeugte von gekonnter Hinterlistigkeit. Was wollte sie
mit dieser Action nun schon wieder erreichen?
Cello überzeugte sich noch schnell von der Unversehrtheit
seiner Fotografie, überwachte die Wiederaufstellung und setzt dann das Gespräch mit dem Sponsor fort.
„Herr Armandi, ich bedanke mich für die kleine
Privatführung, Nun möchte ich Sie aber nicht
länger von Ihrer eigenen Party abhalten. Lassen Sie uns deshalb jetzt lieber zurückgehen.“
Cello stimmte erfreut zu.
Kurz bevor sie an die Bar zurückkamen, stießen sie fast mit dem Oberbürgermeister
zusammen.
„…..wenn das jetzt nicht sauber abläuft, passiert etwas,
dass Sie sich in ihren kühnsten Träumen nicht vorstellen können..“ Cello konnte
nicht erkennen, zu wem der Oberbürgermeister gesprochen hatte.
Aber in diesem Augenblick
sah dieser Cello und seinen Begleiter. Vor
Schreck rötete sich sein Gesicht und
seine Augen waren weit aufgerissen.
„ Herr Armandi, ich hoffe, Sie genießen den Abend aus vollem
Herzen.“ Stotternd machte er noch schnell ein heimliches Zeichen, damit die
vorher angesprochene Person im Hintergrund blieb.
Cello sah erstaunt zu seinem Sponsoren und dann blickte er
dem Oberbürgermeister ins Gesicht.
„ Alles zu meiner Zufriedenheit, danke Herr
Wihling, wirklich alles bestens.“
Es entstand ein peinlicher Augenblick. Cello wurde es nun zu
blöde. „ Sollten wir uns heute noch einmal begegnen, geben Sie mir aber einen
aus.“
Das verlegene Lachen des Oberbürgermeisters erklang etwas zu laut.
„ Selbstverständlich gerne, Herr Armandi, gerne, bis später dann mal.“ Mit
einer angedeuteten Verbeugung entfernte er sich schnell.
Cello sah seinen Sponsoren an. „ Seltsame Leute, diese
Oberhausener, oder finden Sie etwa nicht?“ Dieser zuckte nur mit den Schultern,
wahrscheinlich war er selber Oberhausener.
Kurz darauf kam Cello immer noch nicht dazu, den Abend
wirklich zu genießen.
Eine laute Frauenstimme ließ ihn aufhorchen. Das konnte doch
nur wieder diese Nadja sein! Wen ärgerte sie jetzt schon wieder?
Cello war kurz davor, dass ihm der Kragen platzte. Nadja
stand dieses Mal mit erhobener Hand und
laut zeternd vor Sondra und putzte sie regelrecht runter.
Jetzt reichte es ihm.
Verärgert lief er auf Nadja zu und zerrte sie ziemlich unsanft von Sondra fort.
„ Was gefällt Ihnen jetzt schon wieder nicht?“
Nadja entriss ihm ihren Arm und zeigte mit ausgestrecktem
Finger auf Sondra.
„ Diese Frau zweifelt an meiner Einladung zu dieser
Ausstellung! Sie hatte vor, mich an Natascha
zu verpfeifen! So etwas muss ich mir nicht bieten lassen und erst Recht
muss ich mich nicht derart von ihr beleidigen lassen.“
Nadja schleuderte ihre Wut Sondra regelrecht entgegen.
Sondra dagegen zuckte nur hilflos mit den Schultern, hielt sich mit einer Hand
ihre Wange und ihr Blick verriet eindeutig ihre Unsicherheit.
Cello verstand Sondra. Er packte nun Nadjas Arm
energisch fester und zog sie mit fort.
„ Es reicht mir jetzt mit Ihnen! Sie verlassen nun auf der
Stelle das Gebäude oder ich vergesse mich. Sie sind hier nicht mehr erwünscht.
Können oder wollen Sie das nicht verstehen? Raus jetzt.“
Nadja versuchte erst gar nicht mit ihm zu streiten, sondern
riss sich los und flüchtete in die Dunkelheit des Innenraumes.
Fassungslos schüttelte Cello den Kopf. Ihm war die Stimmung
gründlich verdorben und er brauchte einen Moment für sich alleine.
Langsam und unauffällig begab er sich nach oben. Hier
versuchte er, zur Ruhe zu kommen. Aber auch
diese Ebene war von vereinzelten Interessenten besucht, die still seine
Bilder beobachteten.
Dann sah Cello einen Schatten, der sich vorsichtig nach oben
auf die dritte Ebene schlich. Seine Alarmglocken gingen an und ohne weiter
darüber nachzudenken, verfolgte er diesen.
Die dritte Ebene wurde erst für Mitternacht freigegeben,
dort sollte es zu einem ebenbürtigen Abschluss einer atemberaubenden Lichtershow
kommen. Hier erklang die mystische Musik etwas leiser, dafür verdunkelte sich
Cellos Umgebung enorm. Vereinzelnd brachen verschiedene Lichtstrahlen von unten
herauf. Plötzlich erspähte Cello den Schatten. Spontan stürzte er sich auf die
unbekannte Gestalt.
Er griff in langes Haar und ein bekannter Parfümgeruch stieg
ihm in die Nase. Nadja! Cellos Gewicht lag nun schwer auf ihren zierlichen
Körper. Verzweifelt rang die unten Liegende, um ihn von sich zu stoßen.
Cello ergriff ihre Hände und legte sie hinter ihrem Kopf. „
Gehen Sie sofort von mir herunter, Sie Lustmolch.“ Nadja schien nie die Fassung
zu verlieren.
„ Auf gar keinen Fall! Ich werde Sie jetzt mitnehmen und
sofort der Security übergeben.“
Nadja spielte ihren letzten Joker aus. Kräftig biss sie
Cello in den Arm. Vor Schmerzen lockerte er den Griff, Nadja windete sich unter
ihm hervor und verschwand katzengleich in der Dunkelheit.
Ermüdet setzte sich Cello hin, stöhnte laut auf und stützte
seinen Kopf mit seiner Hand ab. Wollte dieses Biest von Nadja seine Ausstellung
sabotieren? Welche Gründe hatte sie dafür?
Cello brauchte noch eine ganze Weile, um sich zu sammeln und
wieder zu den anderen hinunter zu gehen.
Dort stellte er sich an die Theke und bestellte sich einen
doppelten Wodka, den er auf einmal hinunterspülte, nur um direkt danach einen weiteren hinunter zu
kippen.
„ Entweder hast du ernsthafte Probleme oder fühlst dich
unter all diesen Menschen vollkommen alleine.“
Cello schaute nicht hoch, aber er begann zu lächeln.
Nach einigen Sekunden drehte er den Kopf zu dieser Stimme
um. In unmittelbarer Nähe saß Niklas und beobachtete ihn grinsend. „ Prost,
großer Meister, spül deine Gedanken einfach hinunter.“
Der aufmerksame Kellner hatte Cello erneut einen doppelten
Wodka hingestellt.
„ Du scheinst meine Gedanken zu erraten, Kleiner.“
Niklas rutschte etwas näher zu Cello hinüber. „ Das würde
ich sehr gerne können. Vielleicht könnte ich dann auch deine trüben Gedanken
aus deinem Kopf vertreiben. Oder traust du mir das vielleicht nicht zu?“
Cello sah wieder auf sein Glas hinunter. Lächelnd nahm er
sehr wohl die zarte Berührung wahr, die Niklas ihm zukommen ließ.
Wenn er heute nicht der berühmte Künstler wäre, wenn er
nicht in Oberhausen wäre, wenn er hier niemanden kennen würde…
Cello war selber erstaunt über seinen Gefühlsausbruch. Wie
gerne hätte er Niklas jetzt an sich gerissen und ihn geküsst.
Stattdessen trank er sein Glas leer und stellte es ziemlich
unsanft auf die Theke zurück.
„ Niklas, mein Freund, wenn wir könnten, wie wir wollten!
Aber manchmal hat das Schicksal einen anderen Weg für uns bestimmt. Lass es uns
einfach so hinnehmen. Lebe dein Leben, als wäre es dein letzter Tag.“
In diesem Augenblick fiel ihm seine eigene Wortwahl auf.
Ohne Niklas weiterhin zu ermutigen oder ihn auch nur anzusehen, verließ Cello
die Theke und machte sich auf den Weg, um Natascha oder Sondra zu suchen.
Weder fand Cello Sondra noch Natascha, trotzdem fing er
endlich an, seine eigene Feier zu genießen.
Um exakt 23.20 Uhr trat ein Mann der Security auf Sondra zu.
„ Entschuldigen Sie bitte. Ich soll Ihnen etwas überbringen.
“ Erstaunt schaute Sondra auf den Zettel, den er ihr jetzt übergab, sich an
seine Mütze packte und verschwand.
Schnell faltete sie die
Notiz auseinander. In Druckbuchstaben stand dort deutlich geschrieben: Komm
um 23.30 in den Aufzug.
Unterschrieben war die Nachricht nur mit einem dicken N.
Gespannt schaute Sondra auf die Uhr und erhob sich von ihrem
Sitz. „ Ich sollte mich beeilen. Niklas wird mir sein Lichtbild von Cello
zeigen wollen. Er hat den ganzen Abend noch nicht mit mir darüber gesprochen.“
So schnell es ging, wühlte sie sich nun durch die Menge und
erreichte zügig die zweite Etage. Wie
unheimlich ruhig es hier inzwischen
geworden war! Irgendwie empfand sie nun die abgedunkelten Lichtverhältnisse als
bedrohlich. Trotzdem begab sie sich tapfer weiter nach oben. Als sie die dritte
Etage erreicht hatte, stockte sie plötzlich. In ihrem Kopf spulten sich
seltsame Bilder ab, ihr Magen zog sich deutlich zusammen.
„ Jetzt spinn bloß nicht rum, Niklas wartet doch auf dich.“
Sie war von völliger Dunkelheit umgeben. Mutig klammerte sie
sich an dem Geländer fest, dass sie bis nach oben an den Aufzug brachte.
Schüchtern und nun sehr verängstigt, rief sie leise Niklas Namen. Niemand antwortete. Einen Augenblick überlegte sie, einfach
umzudrehen und so schnell sie konnte, wieder hinunter zu laufen. Wie in Watte
getränkt, konnte sie die Geräuschkulisse der unten feiernden Gäste vernehmen.
Der Aufzug war nun in
unmittelbarer Nähe und jetzt wollte sie ihn auch erreichen. Alles in ihr wehrte
sich gegen diese Entscheidung, trotzdem ging Sondra weiter und stand kurz
darauf in der runden Glaskugel.
Ein unbekanntes Geräusch ließ sie zusammenzucken, sie drehte
sich um und wollte einen Schrei aus stoßen, aber dafür war es zu spät.
Sie bekam einen erheblichen Schlag auf den Kopf. Fassungslos
sah sie ihren Peiniger in die Augen, bevor sie lautlos zusammenbrach.
Die Gestalt handelte schnell und wohlüberlegt.
Der Knopf wurde gedrückt und fast geräuschlos fuhr der
Aufzug im Dunkeln nach oben auf die Plattform.
Dort zerrte die Gestalt Sondras Leiche bis an den Rand des
Gasometers, drückte und schob ihren leblosen Körper über die Brüstung und ließ
sie nach unten in die Tiefe fallen.
Während des Falls blitzte es einmal kurz auf.
Die unten feiernden Gäste ahnten nichts von diesem
schrecklichen Ereignis.
Kurz vor Mitternacht,
trat Cello auf Natascha zu. Sie lachte gerade über einen Witz, den ihr
Gegenüber ihr erzählt hatte. Ungeduldig trat Cello von einem Fuß auf den
anderen, da er nicht unhöflich erscheinen und sich einfach in ihr Gespräch einmischen
wollte. Der Mann, der Natascha gegenüber saß, bemerkte Cello jetzt sehr wohl.
„ Dreh dich bitte
einmal um, da möchte jemand dringend mit dir reden, wie mir scheint.“ Natascha
drehte sich daraufhin auch um. Im selben Augenblick wurde sie kreidebleich im
Gesicht und sah Cello mit offenem Mund entgegen.
„ Ja, sag einmal, geht es dir plötzlich nicht gut? Du siehst
ja schrecklich aus, als hättest du einen Geist gesehen! Ich wollte dich nur
aufmerksam machen. Es ist jetzt soweit, du solltest den Gästen Bescheid sagen.
Es ist Zeit, wir müssen hoch, die Lichtshow beginnt gleich.“
Immer noch fassungslos starrte Natascha Cello regelrecht an.
Jetzt hatte sich die Farbe ihres Gesichts deutlich verändert. Sah sie zuvor
noch kreidebleich aus, schien sie nun vor
unterdrückter Wut regelrecht zu platzen. Etwas zu heftig stand sie auf. „ Ich
muss vorher noch dringend mit jemanden reden“ stieß sie unfreundlich zwischen
zusammengebissenen Zähnen hervor. Ihre Worte waren fast nur Zischlaute.
Nun wurde es Cello aber zu bunt. Er hielt sie am Arm zurück.
„ Du kannst jetzt nicht mit jemanden reden! Darf ich dich daran erinnern, dass
wir ein festes Programm ausgetüftelt haben und es nun Zeit wird, MEINE Gäste
nach oben zu geleiten, Frau PR Managerin?“
Etwas gehetzt schaute sich Natascha um, aber sie war zu viel
Profi, um nun die Zeitplanung außer Kontrolle geraten zu lassen.
Sie glättete ihr Kostüm und blickte Cello nun finster an. So
freundlich es nun ging, wisperte sie ihm noch zu: „ Na, dann, the Show must go
on.“
Cello blickte sich verzweifelt nach Sondra um. Jetzt erst
fiel ihm auf, dass er sie schon längerer Zeit nicht mehr gesehen hatte.
„ Hast du Sondra irgendwo gesehen?“ Natascha blieb kurz
stehen und erwiderte ziemlich wütend.
„ Nein, hab ich
nicht, aber ich bin auch nicht ihr Kindermädchen. Wir müssen jetzt los.“
Cello blieb wirklich keine Zeit mehr, weiter nach ihr zu
suchen. Irgendwo würde sie schon wieder auftauchen.
Die übrig gebliebene Menschenmenge folgte nun gespannt
Natascha, die eine klare Einladung zur
angesagten Lichtshow ausgesprochen hatte.
Einige Minuten später schnitt Cello das Band durch, das jedem bisher verboten
hatte, hierhin zu gelangen.
Nachdem alle ihre Plätze eingenommen hatten, begann die
spektakuläre Show, die mit vielen Ahs und Ohs bewundert wurde. Cello konnte die
Show nicht wirklich genießen. Es sah Sondra so gar nicht ähnlich, in diesem
Augenblick nicht an seiner Seite zu sein.
Um genau viertel nach Zwölf war alles vorbei. Unter tosendem
Applaus wurde es zuerst stockdunkel. Sekunden später tauchte ein riesiges Bild an
den gesamten Wänden des Gasometers auf.
Augenblicklich breitete sich eine entsetzliche Stille aus. Trotz der vielen Menschen, hätte man eine
Stecknadel fallen hören können.
Das Bild zeigte nicht, wie geplant, den Künstler Marcello
Armandi sondern seine Assistentin
Sondra. Ihr Körper fiel soeben den Gasometer hinunter!
Kurz danach brach
Panik aus. Menschen schrien aus Leibeskräften und bewegten sich ziellos durch
die Reihen.
Nur Cello blieb ungläubig stehen. Geschockt konnte er seinen
Blick nicht von dem riesigen Bild der Gasometerwand lösen. Obwohl er immer
wieder von anderen Menschen zur Seite geschubst wurde, konnte sein Verstand das
Sehende nicht begreifen!
Sondra sollte tot sein? Sich von oben, vom Gasometer
gestürzt haben? Niemals würde sie selber so etwas tun! Das konnte doch nur ein
böser Scherz sein!
Aber der entsetzte Ausdruck
in Sondras Augen sollte sich für immer in seinem Herzen einbrennen!
„ Haben Sie mich verstanden, Herr Armandi? Oder sollen wir
morgen weiter machen?“ Cello zuckte bei diesen Worten zusammen und sah hoch.
Vor ihm stand ein recht großgewachsener, blonder, sympathischer
Mann und hielt ihm ein Glas Wasser entgegen.
„ Entschuldigen Sie, ich habe Sie nicht verstanden. Was
wollen Sie von mir?“ Zerstreut fuhr sich Cello durch die Haare.
Jetzt klopfte ihm der Mann leicht auf die Schulter. „ Tut
mir leid, ich habe Sie mit meinen Fragen
zum Tode ihrer Assistentin Sondra Stein überfordert. Ich sehe ein, dass Sie
heute nicht in der Verfassung sind darüber zu reden. Ich mache Ihnen einen
Vorschlag. Ich könnte Sie jetzt in Ihr Hotel bringen lassen. Sie kommen nicht
von hier, richtig? Oder haben Sie Freunde hier, die sich jetzt um Sie kümmern
könnten?“
Besorgt schaute er nun auf Cello hinunter. Das Glas Wasser
stellte er neben ihnen auf den kleinen Tisch ab.
Cello schüttelte den
Kopf und stand auf. Das schreckliche Ereignis von Sondras Tod riss ihn erneut von den Füssen, er schwankte.
Der Mann fing ihn auf und hielt ihn einen Moment lang fest.
Cello lächelte ihm dankend an. „ Entschuldigen Sie bitte,
ich habe nicht einmal verstanden, wer Sie überhaupt sind.“
„ Das macht doch nichts. Ich bin Thomas Körner, Oberkriminalinspektor
aus Oberhausen. Wir versuchen heraus zu
finden, warum sich Frau Stein umgebracht hat. Vor einer halben Stunde
haben wir ihre Leiche hier im Hochseilgarten, direkt neben dem Gasometer
gefunden. So, wie es bis jetzt aussieht, hat sich Frau Stein das Leben
genommen.“
Jetzt kam Leben in Cellos Körper. „ Nein! Niemals hat sich
Sondra selber umgebracht! Warum sollte sie so etwas tun? Noch zumal an diesem
Abend? Wir haben zusammen so lange darauf hinaus gearbeitet und nun das!“
Thomas Körner lächelte nun milde. „ Herr Armandi, es könnten
verschiedene Ursachen vorliegen. Vielleicht hatte sie Liebeskummer oder andere
Probleme, denen sie nicht mehr gewachsen war. Vielleicht war die riesige Aufnahme an den Wänden des Gasometers ein
eindeutiger Abschied ihrerseits?“
„ Nein, nein und nochmals nein! Daran kann und will ich
nicht glauben! Sondra war ein sensibler aber ein glücklicher Mensch! Ich bin an
allem schuld! Ich habe sie hierher gebracht!“ Cello merkte, wie ihm die Beine
wieder wackelig wurden.
Der Inspektor merkte, wie anstrengend es für ihn wurde und
entschloss sich, die Sache für heute auf sich beruhen zu lassen.
„ Wie gesagt, Herr Armandi, verschieben wir das Gespräch auf
morgen. Haben Sie jetzt jemanden, den Sie hier in Oberhausen kennen oder soll
ich Sie direkt ins Hotel bringen lassen?“
Cello setzte sich wieder und vergrub das Gesicht in seine
Hände. „ Nein, Ja. Frau Natascha Beck ist eine Freundin. Wissen Sie, wo sie
sich gerade aufhält?“
Der Inspektor nickte mit dem Kopf. „ Frau Beck sitzt nebenan
bei meinem Kollegen und wird gerade verhört.“
Cello fuhr erschrocken auf. „ Verhört? Hat sie etwa mit Sondras Tod zu tun?“ Thomas Körner
schüttelte den Kopf und lächelte. „ Beruhigen Sie sich, Herr Armandi. Jeder,
der heute Abend hier im Gasometer war, wird verhört. Das bedeutet, meine
Kollegen und ich nehmen alle Aussagen auf. Reine Routinesache, glauben Sie mir.
Wenn Sie möchten, schauen wir mal, ob mein Kollege schon mit ihr fertig ist. Kommen
Sie einfach mal mit.“
Cello nickte und lief leblos hinter dem Inspektor her.
Vor einer Eisentür blieben sie stehen. „ Warten Sie bitte
einen Augenblick. Ich schaue mal nach, wie weit sie sind.“
Cello nickte wieder nur und begann zu warten. Ihm schien es
wie Stunden vor zu kommen, bis sich die Tür öffnete und Natascha als erste
durch die Tür kam.
Als sie ihn sah, zögerte sie einen Augenblick, dann lief sie
auf ihn zu und nahm ihn in die Arme.
„ Cello, mein Freund. Das alles tut mir so schrecklich leid!
Wieso hat sie das bloß getan?“ Jetzt weinte Natascha ein wenig.
Er befreite sich von ihr und schob sie eine Armeslänge von
sich.“ Du glaubst doch nicht auch, dass Sondra Selbstmord begonnen hat?“
Natascha schniefte ein wenig. „ Ich weiß es doch auch nicht.
Ich war noch nie in so einer Situation.“
Jetzt trat der Inspektor auf beide zu.
„ Ich möchte keinen von Ihnen irgendwelche Vorschriften
machen, aber könnten Sie, Frau Beck, Herrn Armandi heute bei sich übernachten
lassen? Er macht mir einen, verzeihen Sie beide, einen sehr labilen Eindruck .Ich
würde mich dann morgen bei Ihnen telefonisch melden.
Natascha schien zu überlegen. So ganz schien ihr der
Vorschlag des Inspektors nicht zu gefallen. Cello registriert dies. „ Nein,
nein, es geht schon. Es wäre äußerst freundlich von Ihnen, mir jetzt eine Taxe
zu bestellen.“
Der Inspektor sah Natascha fragend an. Sie räusperte sich
daraufhin. „ Nein, natürlich kommst du mit zu mir. Ich lasse dich doch heute
Nacht nicht alleine. Komm, wir gehen.“
Sie nickte Thomas Körner kurz zu, harkte sich bei Cello
unter und zog ihn mit.
Während sie sich auf den Weg nach draußen machten,
erschauderte Cello. Jetzt sah es hier ganz anders aus. Grelle Neonlichter
erhellten den Gasometer, sehr viele Menschen liefen unruhig hin und her, jeder
schien sein Handy am Ohr zu halten und wichtige Gespräche zu führen. Die kalten
Stahlträger wirkten nun uralt, dreckig und schienen ihn geradezu zu verhöhnen.
„ Du bist schuld an Sondras Tod – alles ist nur deine Schuld !“
Cello zog sich in sich selber zurück und war froh, das
Natascha ihn hier schnell herausbrachte.
Bis sie beide bei ihr zu Hause waren, sprach niemand ein
Wort. Natascha schloss die Wohnungstür auf und bat Cello hinein. Sie führte ihn
in ihr edles Wohnzimmer und ging direkt hinüber zu ihrer Bar. „ Ich brauche
jetzt einen Drink. Möchtest du auch etwas haben?“
Cello schüttelte nur
mit dem Kopf und musste an seine Freundin Tina denken. Hatte er zu Hause Probleme,
besuchte er sie spontan. Jedes Mal drang er fast in ihre Wohnung ein, schritt
selbstbewusst durch ihre Wohnung und begab sich ungefragt in ihr Wohnzimmer.
Dort hatte sie ihre Hausbar. Er schenkte sich meistens selber einen Drink ein
und zynisch begann er, über andere Personen zu lästern. Meistens über Vanessa,
ihre gemeinsame Bekannte, auf die er nicht selten sehr eifersüchtig war.
Wie weit schien diese Welt entfernt! Wie anders war es heute
Abend! Er vermisste Tinas Wärme und Freundschaft. Natascha dagegen wirkte kalt
und oberflächlich. Aber er durfte sie nicht so hart verurteilen, schließlich
war sie bestimmt nur müde und auch total fertig.
„ Komm, ich zeige dir jetzt das Gästezimmer. Bitte
entschuldige, ich bin müde und möchte mich hinlegen.“
Cello nickte und folgte ihr. Sie zeigte ihm daraufhin noch
das Bad und verabschiedete sich.
Aber er konnte nicht einschlafen. Draußen begann es bereits
zu dämmern. Unruhig wälzte sich Cello im Bett hin und her. Nach einer Weile
beschloss er, aufzustehen. Mit dem Schlafen schien es heute nicht zu
funktionieren.
Wie ein wildes Tier lief er im Wohnzimmer auf und ab. Von
draußen nahm er den langsam wachsenden Verkehrslärm war. Plötzlich begannen
zwei Vögel ziemlich laut zu krähen. Sie
hielten sich direkt vor dem Fenster auf. Es hörte sich vorwurfsvoll und
unheimlich an. Leichte Vorhänge verdunkelten den Raum. Diese begannen nun, vermutlich
durch einen Windstoß, ins Zimmer herein zu wehen. Das war zu viel für Cello!
Situationsbedingt setzte sich nun eine irre Idee in seinem Kopf fest!
Spontan durchsuchte er Nataschas Handtasche. Er suchte den
Schlüssel zur Gasometertür! Natascha musste, bedingt durch ihre Position, einen
besitzen. Er musste einfach dorthin zurück, vielleicht fand er Angaben, die die
Polizei übersehen hatte! Er kannte Sondra zu gut, niemals würde sie sich
umbringen. Nicht oben auf der Plattform des Gasometers und schon gar nicht an
diesem Tag!
Cello kramte weiter in Nataschas großer Handtasche. Warum
trugen Frauen nur so riesige Beutel, indem sie doch nur wenige Sachen mit sich
trugen? Er wühlte tiefer und fühlte etwas Papierartiges. Dies holte er hinaus
und wunderte sich ein wenig. Es war ein Foto von Natascha und Niklas. Komisch,
irgendwie wirkten sie beide darauf wie ein glückliches Paar. Das Foto war an
dem Abend aufgenommen worden, als sie zu viert die Nacht im Centro verbracht
hatten.
Aber die Sache ging ihn nichts weiter an. Schnell legte er
das Bild zurück und fühlte etwas Kleines, eckiges. Er zog es aus der Tasche
heraus und hielt eine Checkkarte mit dem Abbild des Gasometers in der Hand. In
großen Ziffern stand deutlich lesbar darauf: Achtung - Eingangskarte des Gasometers – für Natascha
Beck – PR – nur für die Ausstellungstage des Künstlers Marchello Armandi – der
schöne Schein.
Na also, da stand sogar sein Name drauf! Es musste ja nicht
immer ein Schlüssel sein! Zufrieden schlich er sich aus der Wohnung, nahm sich
eine Taxe und ließ sich zum Hochseilgarten fahren, der direkt neben dem
Gasometer lag.
Der Taxifahrer schien sich nicht für Kunst zu interessieren,
er erkannte seinen Fahrgast nicht. Cello war das sehr recht. Auf der kurzen
Fahrt hörte er sich das schreckliche Geschehen im Gasometer mit
zusammengebissenen Zähnen an. „ Ham se schon gehört? Gestern hat sich dort ein
junges Mädchen aus Liebeskummer von ganz oben hinuntergestürzt! Sie soll
sturzbetrunken gewesen sein, verliebt in den Künstler, der aber schon mit einer
anderen verheiratet war. Schreckliche Sache, einfach grauenvoll, armes Mädchen.“
Cello erwiderte nichts, warf den Taxifahrer am Ende der
Fahrt einen Fünfzigeuroschein durch die Scheibe und überhörte das Rufen des
Fahrers.
„ Soll er den Rest doch behalten, der schusselige Fahrer.
Wie können die Menschen nur so schnell eine Geschichte verdrehen, ohne wirklich
dabei gewesen zu sein!“
Eilig lief er auf den Hochseilgartens zu. Genau dort wurde
Sondras Leiche gefunden!
Cello wartete, bis
der Taxifahrer endgültig verschwunden
war, vergewisserte sich, dass ihn um diese Uhrzeit niemand sah und rannte zum
gegenüberliegenden Eingang des Gasometers.
Er steckte Nataschas Karte durch den Schlitz und war auf dem
Gelände. Vorsichtig schlich er um den riesigen Turm herum und erspähte eine
Tür.
Auch hier hatte er Glück. Zischend öffnete sich diese und
flugs stand er in dem Oberhausener Wahrzeichen.
Stille umgab ihn, völlige Stille. Er braucht eine Zeit lang,
bis sich seine Augen an die dämmrigen Lichtverhältnisse gewöhnt hatten.
Dann lief er in den Instuktionsraum und schaltete die
Lichtquellen ein, die seine Fotografien erhellten.
Wie gut, dass der Mann der
Security ihn gestern mitgeschleppt hatte, um ihm stolz diese Anlage zu
zeigen. Gestern ging er gelangweilt nur aus purer Höflichkeit mit, heute war er
regelrecht dankbar dafür!
Cello wanderte durch seine Fotografien hindurch und begann,
den gesamten Abend durchzugehen.
Es verbrachte geschlagene zwei Stunden, dann machte es klick
in seinem Kopf! Er musste dringend mit dem Inspektor sprechen, deren Namen er
vergessen hatte.
Nicht eine Sekunde zu früh, denn plötzlich hörte er, wie
sich die schwere Eingangstür öffnete.
Schnell drückte er sich an die Wand und versteckte sich.
Bloß nicht erwischen lassen, wie sollte er erklären, wie er hier herein
gekommen war!
„ Hey, hier stimmt doch watt nich! Warum ist dat Licht an?“ Stimmen hallten durch den hohlen Raum.
„ Ach, Herbert, jetzt mach ma halblang und spiel hier nich
nen Bullen. Warscheinlich hat gestern jemand einfach nur vergessen, die olle Anlage
auszuschaltn. War doch keine Tür offn. Springt ja nicht alle Tage son junget Mädel
von hier runner. Kein Stress am frühen Morgn.“
„ Has ja Recht, Kumpel. Abba dat geht mia auch ganz schön
anne nieren, dat kann ich dia sag.“
Jetzt schlug der größere Wachmann dem kleineren auf den
Rücken.“
„ Gez ers ma n Pott
Kaffee und ne Kippe und dann sieht allet schon ganz anders aus, wirs sehn.“
Die beiden Ruhrpottwachmänner verschwanden.
Cello sah zu dass er, so schnell es ging, aus dem Gasometer
verschwand. Allerdings nahm er sich vorher die Zeit, Nataschas Eingangskarte
aus der Tasche zu ziehen. Sorgfältig wischte er seine Fingerabdrücke ab und
klemmte diese anschließend tief zwischen das Eisengestänge.
Erneut bestellte er sich
eine Taxe und fuhr auf direktem Weg
zum Friedensplatz. Falls Herr Körner seinen Dienst noch nicht angetreten
hatte, würde er – Cello - halt warten müssen. Etwas anderes blieb ihm sowieso
nicht übrig und Natascha machte nicht den Eindruck, als würde sie sich um ihn
sorgen.
Aber Cello brauchte nicht lange warten. Als der Inspektor
hörte, wer ihn sprechen wollte, ließ er ihn sofort in sein Büro bringen.
„ Guten Morgen, Herr Armandi, so früh schon auf? Darf ich
Ihnen einen Kaffee anbieten? Aber ich warne Sie, so gut unsere Polizisten auch
arbeiten, so schlecht kochen sie Kaffee.“
Für diese Bemerkung erntete Thomas Körner nur ein müdes
Grinsen. Allerdings sah dieser auch ziemlich
mitgenommen aus. Die ersten Knöpfe seines Hemdes standen offen, seine Krawatte
hing schief gelockert um seinen Hals. Die Hemdsärmel waren hochgekrempelt und
ein unangenehmer, kalter Zigarettengeruch ging von ihm aus. Herr Körner schien
die Nacht auf der Wache verbracht zu haben und sicherlich hatte auch er kein
Auge zu getan.
Das registrierte Cello schon einmal als ein beruhigendes
Zeichen. So wirkte dieser Inspektor wesentlich menschlicher auf ihn.
„ Ein Kaffee, wie schlecht er auch sein mag, wäre jetzt
wunderbar“
Thomas Körner drückte auf einen Knopf. „ Zwei heiße,
schwarze Kaffee, bitte und keinerlei Bemerkung, danke.“
Danach wendete er sich Cello zu. „ Setzen Sie sich bitte.
Ist Ihnen etwas eingefallen, was uns helfen könnte, den Fall auf zu klären?“
Langsam begann Cello von Nadja zu erzählen.
Wie sie sich mit dem angeeigneten Pass reingeschmuggelt
hatte, die Konkurrenz mit Natascha, der Unfall mit dem Mann, der in sein Bild
gefallen ist und ihr Blick hinterher. Er verschwieg weder den Streit mit Sondra
und auch nicht, wie er sie dabei
erwischt hatte, ganz nach oben auf die dritte Etage zu huschen und er sie davon
abgehalten hatte.
Thomas hatte sich alles notiert und sah ihn jetzt ernst an.
„ Das hört sich aber alles sehr verdächtig an. Ich denke,
wir lassen diese Person zu uns holen und nehmen sie vorerst in Untersuchungshaft.“
„ Da wäre noch etwas. Ihr Bürgermeister schien mir an dem
Abend jemanden zu bedrohen. Ich konnte leider nicht sehen, zu wem er etwas
sagte. Es klang so wie: wenn irgendetwas nicht sauber abläuft, passiert etwas.“
Jetzt blickte Thomas erneut auf.
„ Das sind schwere Anschuldigungen, Herr Armandi. Bitte
denken Sie noch einmal über Ihre Worte nach.“
Cello blickte ihm genauso ernst in die Augen .Langsam und ruhig sprach er seine
Worte jetzt überdeutlich aus.
„ Ich brauche nicht noch einmal darüber nachdenken, Herr
Körner. Ich weiß genau, was ich gehört und gesehen habe! Ob es nun eine Dame,
was vielleicht noch dahin gestellt ist, von der Presse oder ihr Bürgermeister
ist! Ich bin fest davon überzeugt, Frau Stein hat keinen Selbstmord verübt!
Falls sie irgendwelchen Kummer gehabt hätte, hätte ich als erster davon
erfahren. Wir haben nicht nur zusammen gearbeitet, ich denke, ich kann
behaupten, wir waren jahrelang eng befreundet. Und damit meine ich auf keinen Fall, dass wir eine Beziehung
hegten! Die Aufklärung ihres Mordes bin ich ihr schuldig! Ich werde nicht eher
ruhen, bis ihr Mörder gefasst ist und sollte es der Bürgermeister sein! Habe
ich mich klar ausgedrückt, Inspektor Körner?“
„ Glasklar, Herr Armandi, glasklar. Dann werde ich
veranlassen, das auch unser Bürgermeister, Herr Wolfgang Schmidt, zu uns auf
die Wache gebracht wird.“
Cellos Wut schwand augenblicklich. „ Danke“ war alles, was
er jetzt dazu sagen konnte. Nun verzichtete er auf den schlechten
Polizeikaffee, verabschiedete sich und begab sich in sein Hotelzimmer.
Plötzlich überkam ihn eine bleiernde Müdigkeit und er fiel in einen unruhigen
Schlaf.
Wolfgang Schmidt wusste nicht, ob er wütend, verlegen oder
empört reagieren sollte, als er von zwei Beamten in das Zimmer von Thomas
Körner geführt wurde.
Körner blickte kurz auf, bevor er einen Apparat einstellte.
„Herr Schmidt, ihre Rechte wurden Ihnen bereits erklärt.
Dieser Besuch ist kein Scherz. Ich verbitte mir sämtliche Unwahrheiten. Ich
werde Sie jetzt zu der Mordangelegenheit der Frau Sondra Stein befragen und
unser Gespräch wird aufgenommen. Also. Haben Sie jemanden beauftragt, Frau
Stein zu ermorden?“
Augenblicklich wurde der Bürgermeister blass, sehr blass.
„ Aber Herr Körner, ich fühle mich der Stadt Oberhausen
verpflichtet und kann keiner Fliege etwas zuleide tun! Wieso sollte ich
jemanden beauftragen, die Assistentin des von mir sehr geschätzten Herrn
Armandi zu ermorden?“
„ Herr Armandi war heute früh bei mir und hat ausgesagt, er
hätte eine Drohung ihrerseits an einen Unbekannten mitbekommen. Stimmt dies,
Herr Schmidt? Haben Sie gestern Abend jemanden bedroht?“
Ungläubig schüttelte er den Kopf. „ Nein, habe ich nicht,
ganz bestimmt nicht, glauben Sie mir doch!“
„ Wieso, glauben Sie, gibt Herr Armandi dann so etwas zu
Protokoll? Warten Sie, ach, hier haben wir es. Sie sollen zu einer unbekannten
Person folgendes gesagt haben. Ich zitiere:
Wenn das nicht sauber abläuft, passiert etwas. Zu wem haben Sie das
gesagt und was meinten Sie damit? Herr Armandi sagte weiterhin aus, als Sie
kurz darauf mitbekamen, dass auch er selber und ein gewisser Sponsor, sein Name tut noch
nichts zur Sache, ihre Worte hörten, seien Sie regelrecht verlegen gewesen.“
Wolfgang Schmidt schwieg und überlegte angestrengt nach.
Dann lachte er plötzlich befreit auf. Jetzt nickte er bejahend mit dem Kopf.
„ Ja, ja, das habe ich tatsächlich gesagt. Aber ich sagte es
zu unserem angestellten Kellner Josch! Er ist immer ein wenig trottelig und
hatte kurz zuvor ein volles Tablett fallen lassen. Ich war wütend und habe ihn
deshalb ermahnt, es solle besser aufpassen! Als Herr Armandi meine Worte
mitbekam, war mir das überaus peinlich, es sollte doch alles perfekt ablaufen! Deshalb
war ich so verlegen! Das alles kann Josch bestätigen. Fragen Sie ihn, am besten
jetzt gleich direkt.“
Das tat Thomas Körner und der Kellner Josch bestätigte
schüchtern aber wahrheitsgetreu die Aussage des Bürgermeisters. Beide verließen
kurz darauf erleichtert das Polizeirevier.
„ Bringen sie jetzt
bitte Frau Nadja Livington herein.“
Dieses Mal sollte es etwas heftiger abgehen.
Nadja war außer sich und nachdem sie auch noch die Beamten
beleidigt hatte, blieb beiden nichts anderes übrig, als ihr Handschellen
anzulegen.
„ Was erlauben Sie sich? Ich will sofort mit meinem Anwalt
reden! Ich werde hier überhaupt nicht sagen, ÜBERHAUPT nichts! Ist das Klar?
Ich lasse mich doch nicht als Mörderin abstempeln! Da hat bestimmt diese Natascha
Beck ihre Finger im Spiel! Ich bringe das Flittchen um, wenn ich sie in die
Finger bekomme!“
Kröger reagierte auf diese Wortwahl ziemlich heftig, hier
hörte seine Freundlichkeit auf.
„ Frau Livington. Wenn das überhaupt ihr richtiger Name ist!
Sie sollten sehr vorsichtig mit der Wahl ihrer Worte sein. Sie sind jetzt schon
verdächtigt, jemanden getötet zu haben oder an einem Mord beteiligt zu sein. Lassen
Sie weitere Morddrohungen vor uns Polizisten besser sein! Ich stelle Ihnen
jetzt einige Fragen und mache Sie gleichzeitig darauf aufmerksam, dass unser
Gespräch aufgenommen wird. Verweigern Sie eine Aussage, werde ich Sie verhaften
müssen. Haben Sie mich verstanden?“
Nadja wurde immer empörter und wütender. „ Ich werde
überhaupt nicht mit Ihnen reden! Verhaften Sie mich doch besser, aber ich
verlange meinen Anwalt. Das ist mein Recht!“
Thomas Körner stand auf.
„ Frau Nadja Livington, da alle Beweise gegen Sie sprechen
und Sie nichts zu Ihrer eigenen Verteidigung vorbringen wollen, verhafte ich
Sie hiermit auf der Stelle. Sie haben das Recht, zu schweigen. Alles was Sie ab
jetzt sagen kann und wird vor Gericht……“
Unter lautem Protest wurde Nadja abgeführt.
Thomas Körner war sich ziemlich sicher. Nadja Livington
hatte etwas mit dem Mord zu tun.
Zum späteren
Zeitpunkt stellte sich auch heraus, dass sich
Haare der Toten auf ihrer Kleidung befand und Hautreste der Toten unter Nadjas Fingernägeln ….
Zufrieden lehnte sich Inspektor Thomas Körner zurück.
Erleichtert rief er Cello an und erzählte ihm die Neuigkeiten. Jetzt saß Frau
Livington erst mal in Untersuchungshaft. Bis zu ihrer Gerichtsverurteilung
würde es noch eine Weile dauern.
„ Sie können jetzt getrost nach Hause fahren. Den Leichnam
werde ich freigeben und in ihre Heimatstadt transportieren lassen. Bitte stehen
Sie aber weiterhin für eventuelle Fragen zur Verfügung, Herr Armandi.“
„ Sicherlich, Herr Körner. Aber ich habe noch eine Frage. Wie
kam das Bild von Frau Stein auf die Gasometerleinwand?“
„ Herr Armandi, jetzt überlassen Sie doch uns die letzten
Schritte. Gefunden haben wir Frau Stein doch sofort im Hochseilgarten, direkt
neben dem Gasometer, Sie kennen das Grundstück. Wie das Bild auf die Leinwand
kam? Frau Livington wird einen Komplizen gehabt haben, ganz klare Sache. Aber das
wird sich im Laufe der Zeit auch herausstellen. Es war nett, Sie kennen gelernt
zu haben, Herr Armandi. Ich wünsche Ihnen weiterhin viel Erfolg.“
Cello bedankte sich ebenfalls, aber für ihn war die Sache
noch nicht abgeharkt. Irgendetwas sagte ihm, dass alles nicht so richtig
zusammenpasste! Die ganze Angelegenheit ist einfach zu glatt über die Bühne
gelaufen und wirkte zu simpel .Sollte es
tatsächlich Nadja gewesen sein? Frech war sie, dreist und unhöflich,
aber wie eine Mörderin wirkte sie eigentlich nicht.
Mit schweren Gedanken im Handgepäck machte sich Cello
alleine auf den Heimweg. Selbst Natascha
hatte sich nicht mehr gemeldet. Ob er je wieder etwas von ihr hören würde?
Sicherlich war ihr die ganze Sache ziemlich peinlich.
Aber er verwarf die Gedanken an Natascha, jetzt wollte er
nur noch an Sondra denken, an ihre Beerdigung und sich endlich die Zeit nehmen,
in Ruhe um seine Freundin zu trauern.
Sondra war würdevoll bestattet worden.
Cello jedoch konnte
noch keinen wirklichen Frieden finden. Und sein Bauchgefühl ließ ihn auch
dieses Mal nicht im Stich. Allerdings vollkommen anders, als er je vermutet
hätte.
Einige Tage später betraten zwei unbekannte Polizeibeamte
seine Galerie.
Cello ging neugierig auf sie zu. „ Kann ich Ihnen helfen?“
Die Beamten sahen sich an. Der ältere von Ihnen setzte
sofort eine amtliche Miene auf.
„ Sind Sie Herr Marcello Armandi?“
Cello merkte sofort, das sich etwas Unangenehmes ankündigte.
„ Ja, der bin ich. Was kann ich für Sie tun?“
Skeptisch sah er von
einem Beamten zum anderen. Jetzt räusperte sich der Jüngere von beiden.
„ Entschuldigen Sie
die Störung, aber wir müssen Sie bitten, auf der Stelle mit zu kommen. Sollten
Sie sich weigern, sehen wir uns gezwungen, Sie mit Handschellen abzuführen.
Bitte ersparen Sie uns allen diesen Ärger.“
Die Blicke der beiden Beamten, wurden noch eine Spur
amtlicher.
Cello schüttelte den Kopf. „ Entschuldigen Sie bitte. Hier
muss ein Missverständnis vorliegen. Worum handelt es sich denn?“
„ Das erfahren Sie auf der Wache. Sagt Ihnen der Name Sondra
Stein etwas?“
„ Sondra Stein? Ob mir der Name etwas sagt?
Selbstverständlich sagt mir ihr Name etwas! Sie war meine Assistentin und ist
vor einigen Tagen in Oberhausen ermordet worden! Gibt es in der Angelegenheit
etwas Neues?“
Jetzt antwortete wieder der Ältere. „ Das erfahren, Sie wie
gesagt auf der Wache. Kommen Sie nun mit oder müssen wir sie tatsächlich
abführen?“ Seine Stimme hatte einen eiskalten Unterton angenommen.
Cello wartete noch einen Augenblick. Als sich die Beamten jedoch einen Schritt auf ihn zubewegten, hob er
resignierend beide Hände.
„ Ich komme ja schon mit, wenn auch unter Protest. Schließlich
bin ich ein freier, kreativer Künstler. Bitte warten Sie einen Moment. Ich muss
mich eben kurz frisch machen.“
Jetzt lag es an den beiden Beamten, skeptisch zu sein.
Während Cello sich umdrehte, blickten sie sich an, als wenn sie ihm keinen Millimeter
über den Weg trauen würden.
Es dauerte auch nicht lange und Cello war wieder bei ihnen.
„ Nehmen sie keine Reisetasche mit?“ Cello blieb wie
angewurzelt stehen. Jetzt legte er den Kopf schief und funkelte die Beamten
regelrecht an. Leise, fast zischend fragte er: „ Wofür bitte schön sollte ich
eine Reisetasche mitnehmen? Mache ich jetzt Urlaub bei Ihnen?“
Der jüngere Beamte trat nun von einem Bein auf das andere. „
Also wenn Sie versprechen, jetzt keinen Ärger zu machen, sage ich Ihnen grob,
um was es sich handelt.“
Immer noch gefährlich leise sagte Cello nur: „ Gut, ich
bleibe ruhig.“
„ Also Herr Armandi, Sie stehen unter dem Verdacht, an dem
Mord von Sondra Stein beteiligt zu sein. Wir fahren auf unsere Wache, aber es
geht für Sie gleich weiter nach Oberhausen. Sie bleiben dort, bis auf weiteres,
erst einmal in Untersuchungshaft. Warum das so ist, darf ich hier nicht
erwähnen.“ Zu seinem Kollegen gewandt: „ Ich musste es ihm jetzt einfach
sagen.“
Cello traute seinen Ohren nicht, wusste aber genau, im
Moment ließ sich hier vor Ort überhaupt nichts regeln.
Er packte einen größeren Koffer und ging kampflos mit den
Beamten mit.
Die Tür seiner Zelle ging auf, Cello schaute noch nicht
einmal hoch. Nicht, dass es schwer genug war, um Sondra zu trauern, jetzt
sollte er sie auch noch getötet haben!
Jemand betrat seine Zelle und setzte sich ihm gegenüber auf
den harten Holzstuhl.
„ Es tut mir sehr leid, Herr Armandi, so habe ich mir unser
Wiedersehen auch nicht vorgestellt.“
Cello schwieg. Ihm
war durchaus bewusst, wer sein Besucher war. Thomas Körner seufzte auf.
„ Interessiert Sie wirklich nicht, warum Sie zurück nach
Oberhausen gebracht wurden? Warum man Sie verdächtigt, an dem Mord beteiligt zu
sein?“
Jetzt schaute Cello ihm ins Gesicht und verzog seins zu
einer traurigen Fratze. „ Nett, dass Sie mich besuchen, Herr Körner. Aber was
kann ich schon dazu sagen? Irgendjemand muss es auf mich abgesehen haben. Ich
habe Sondra nicht umgebracht und das wissen Sie ganz genau.“
„ Sie haben aber den Ausweis der Natascha Beck entwendet und
diesen heimlich im Gasometer versteckt. Sie kamen von dort, noch bevor Sie
damals bei mir waren. Und dann kommt noch hinzu, Sie hatten die VIP Karte von
ihr in der Tasche. Das alles kam heraus, als diese uns die passenden Hinweise
gegeben hat.“
Cello senkte den Kopf. „ Ja, das habe ich getan, aber es war
anders, als Sie denken. Aber wegen dem Ausweis und der Türkarte bin ich doch
noch lange kein Mörder! Jetzt möchte ich alleine sein. Bitte kommen Sie erst
zurück, wenn der tatsächliche Mörder gefasst ist.“
Mit diesen Worten
legte sich Cello auf die harte Pritsche und drehte ihm den Rücken zu.
Körner verließ kopfschüttelnd die Zelle. Bevor er ging,
drehte er sich noch einmal um. „ Ich möchte nur, dass Sie eins wissen, Herr
Armandi. Ich bleibe an dem Fall dran und
werde jeden noch so kleinen Hinweis nachgehen. Es war mir ein Bedürfnis, das
Sie diese Information von mir haben. „
Ohne ein weiteres Wort ging er davon.
Ein paar Tage später klopfte Niklas Porter aufgeregt an
Körners Tür. Nach einem freundlichen
„ Herein“ wurde die
Tür unsanft aufgerissen und Niklas stürmte sofort auf den Schreibtisch zu. Mit
aufgestützten Armen blieb er direkt vor Körner stehen. „ Ich brauche unbedingt
einen Besuchstermin bei Herrn Armandi. Ich bin ein sehr enger Freund von ihm
und habe erst heute erfahren, dass er hier einsitzt.“
Körner blieb gelassen. „ Und diese Tatsache gibt Ihnen das
Recht, so unfreundlich in mein Büro zu stürmen? Möchten Sie sich nicht erst
einmal beruhigen und dann fangen wir noch einmal von vorne an. Was kann ich für
Sie tun, Herr …..?“
„ Porter, mein Name ist Porter. Wir kennen uns von dem
Mordtag der Sondra Stein. Es ist mir ein wichtiges Anliegen, mit Herrn Armandi sprechen
zu dürfen .Bitte lassen Sie mich zu ihm.“
Der junge Mann hatte Tränen in den Augen. Körner wollte ja
kein Unmensch sein.“ Sie wissen, dass es niemanden gestattet ist, Herrn Armandi
zu sehen?“
„ Ja, das weiß ich, deshalb komme ich auch zu Ihnen. Ihnen
gehört der Fall und nur Sie könnten eine Ausnahme machen.“
Körner schwieg einen Augenblick. „ Nun, ich denke, das
könnte sich einrichten lassen. Herrn Armandi geht es wirklich sehr schlecht. Er
spricht mit niemanden.“
Niklas hatte seinen Kopf gesenkt, nun blickte er hoch.
Hoffnung glühte in seinen Augen auf. „ Sie bekommen jetzt exakt eine halbe
Stunde, nur bitte machen Sie keinen Ärger. Versprochen, junger Mann?“
Pfeilschnell erhob sich Niklas und hätte Körner am liebsten
umarmt.
Ein paar Minuten später stand er entsetzt vor Cellos Zelle.
Dieser hatte sich wieder einmal mit dem Gesicht zur Wand zusammengerollt. Die
Knie angezogen und die Arme um seinen Körper geschlungen.
„ Cello, hier ist Niklas. Hör mir bitte zu! Es tut mir so
unendlich leid! So war es nicht geplant! Ich wollte doch nur mit dir
gehen! Diese Hexe erpresst mich und wenn
ich jetzt die Wahrheit sage, sperren Sie mich ein Leben lang weg. Kannst du
mich denn nicht wenigstens ein kleines bisschen verstehen? Bitte, bitte verzeih
mir, das wollte ich niemals.“ Verzweifelt brach Niklas vor der Zelle zusammen
und weinte bitterlich.
Cello brauchte einen Moment, um das Gesagte zu verarbeiten.
Jetzt drehte er sich langsam um.
„ Was hast du da
gerade gesagt?“
Niklas erhob sich. „ Ich kann mit meinem Gewissen nicht mehr
leben. Aber die ganze Wahrheit kann ich auch nicht sagen.“
„ Warum bist du dann gekommen? Geh weg und lass mich
alleine.“
„ Nein, nein, Cello, bitte höre mir zu. Ich habe einen Weg
gefunden, dich zu entlasten. Du selber hast Nadja doch den Ausweis von Natascha
am Tag der Ausstellung weggenommen. Ich bezeuge, dass ich dies gesehen habe.
Wenn dieser Körner dir glaubt, wird er Nadja fragen. Warum sollte sie deine
Aussage nicht bestätigen? Sie ist doch frei gekommen, nachdem sich herausstellte,
dass die Haare und Hautreste von dem Streit mit Sondra herrührten. Sie hat
nichts mehr zu befürchten. Dafür, dass du dir Nataschas Eingangscheckkarte
genommen hast, können Sie dich doch unmöglich hier festhalten!“
Cello begann zu überlegen. „ Niklas, du hast Recht! Ich
möchte sofort mit Körner sprechen! „
Niklas wollte schon
davon eilen, aber Cellos Stimme stoppte ihn. „ Niklas, warum tust du das alles
für mich?“ Leise wie ein Windhauch hörte Cello ihn antworten: „ Weil ich dich
liebe.“ Fort war er.
Körner war sofort bei der Sache. Nachdem er sich mit Nadja
Livington unterhalten hatte, bestätigte diese, die für sie „ ein wenig
unangenehme“ Sache. Aber es stimmte, sie selber habe Natascha den VIP Ausweis „
entliehen“ und Herr Armandi hatte ihn ihr nur deshalb wieder entwendet, um ihn
zurück zu geben.
Damit war Cello entlastet. Der richtige Mörder lief
weiterhin frei herum. Es war aber auch verhext!
Cellos erster Weg führte zu Niklas, um mit ihm ein ernstes
Gespräch zu führen. Nachdem Niklas Cello alles gebeichtet hatte, war dieser
zuerst einmal völlig entsetzt.
„ Niklas, das alles muss ein Ende haben. Sondra darf nicht
umsonst gestorben sein. Jeder im Leben muss für seine Fehler gerade stehen.
Fangen wir sofort damit an. Ich werde dir auch immer zur Seite stehen, egal,
was passiert.“
Niklas atmete erleichtert auf. „ Mit diesem Gewissen kann
ich auch nicht länger leben. Ich rufe sie an und treffe mich mit ihr im
Gasometer. Jetzt gleich um fünf.“
Cello nickte ihm aufmunternd zu. „ Ich werde mit Körner
pünktlich da sein und dann klärt sich alles auf. Danach wird es dir besser
gehen, versprochen, Niklas.“
Dieser stand auf, ging schnell zur Tür und drehte sich nicht
mehr um.
Körner wurde ganz nervös, als er Cello am anderen Ende
zuhörte. „ Deshalb müssen Sie unbedingt pünktlich da sein. Wenn alles gut geht,
ist dieser Horror danach zu Ende und die Gerechtigkeit hat gesiegt.“
Ernst wie kaum in seinem Leben, antwortete Körner nur
darauf: „ Nichts auf der Welt wird mich davon abhalten. Ich wusste Sie sind
unschuldig, Herr Armandi.“
Ohne ein weiteres Wort legte Cello auf. Einmal, ein
allerletztes Mal würde er den Oberhausener Gasometer betreten, dann nie wieder.
Natascha wollte gerade in die Badewanne steigen, da
klingelte ihr Telefon. Ungeduldig schaute sie auf den Apparat und sah Niklas
Nummer. „ Hallo“ gurrte sie in den Hörer.“ Hast du es dir überlegt Liebling?“
Er schluckte schwer. „ Ja, meine Entscheidung ist gefallen.
Ich möchte dich um fünf im Gasometer sehen, er ist ja offiziell immer noch
geschlossen. Sei bitte pünktlich.“
„ Niklas, mein Liebster, ich hoffe, du entscheidest dich
richtig. Ansonsten darfst du mit schwerwiegenden Folgen rechnen, verlass dich
darauf.“
„ Ich weiß, was ich tue, sei pünktlich“ dann legte er auf.
Natascha wusste nicht so recht, was sie von seinem Anruf
halten sollte. Aber gut, sie würde es ja hören.
Sollte es der Fall sein und er nicht so sprang, wie sie wollte, hatte
sie auch für dieses Problem eine Lösung.
Pünktlich um fünf betrat Niklas den Gasometer. „ Natascha?
Bist du schon hier?“ „Ja, hier hinter, komm rüber zu mir“ erklang ihre eiskalte
Stimme.
Niklas setzte jetzt alles auf eine Karte. Er konnte nur
hoffen, dass Cello sich auch wirklich an ihre Abmachung halten würde.
Langsam, um Zeit zu sparen, steckte er seine Hände in die
Hosentaschen und schlenderte auf die andere Seite zu.
Plötzlich kam sie hinter einem Bild hervor. „ Was denkst du,
möchte ich nun von dir hören?“
Niklas blieb stehen. „ Meine Entscheidung und die Wahrheit.“
Natascha lachte laut auf. Ihr Lachen bebte durch den
gesamten Innenraum. Deshalb verpasste
sie den Augenblick, als sich die Tür erneut leise öffnete und jemand den Raum betrat.
„ Niklas Liebling, lass doch bitte das böse Wort Wahrheit
weg. Wie oft muss ich dir noch erklären, das du nur an meiner Seite eine
Zukunft hast.“
Niklas schwieg erneut. „ Nein. Natascha. Dieses Mal gingst du
einfach zu weit. Ich bin zur Polizei
gegangen und habe ihnen alles erzählt. Lieber gehe ich in den Knast, als mein
Leben an deiner Seite zu verbringen.“
Selbstbewusst stellte sich Natascha nun breitbeinig ein paar
Meter vor Niklas hin und zog plötzlich eine Waffe. Diese richtete sie mit
ausgestreckten Armen auf Niklas.
„ Wie du willst, Liebling, dann ab in die Hölle mit dir!“
Aber bevor sie den Schuss abgeben konnte sprangen Körner und Cello an Niklas
Seite.
„Halt! Stopp, es ist
aus.“ Cello ging noch einen Schritt auf sie zu. Sie lachte laut auf. „ Aus? Es
ist wirklich aus? Na, dann frag doch mal deinen Freund Niklas, wie die Wahrheit
wirklich aussieht? Wer hat Sondra umgebracht? Dein Freund Niklas! Und wer hat
sie vom Gasometer geschmissen, wie einen nassen Sack Katzenstreu? Dein Freund
Niklas! Er hat auch das Bild ausgetauscht, der kluge Techniker. Eigentlich
wollte dich deine Sondra ja damit überraschen, ein riesiges Porträt von dir
dort auszustellen! Aber es kam leider ganz anders! Und warum? WARUM CELLO?“
Die letzten Worte
schrie sie.“ Weil er sich in dich verliebt hat! Mein Niklas wollte mich
verlassen, wegen dir! Eigentlich sollte die ganze Sache dich ja treffen, aber so ein Obertrottel von
Wachmann hat mir nicht zugehört. Eigentlich sollte der Zettel dich erreichen,
du solltest getötet werden! Ich hasse dich Marcello Armandi, ich hasse dich so
sehr! Wärst du doch bloß nie nach Oberhausen gekommen!“
Mutig ging Cello noch einen Schritt auf Natascha zu. „ Warum
hast du nicht selber versucht, mich zu töten?“
Nataschas Augen nahmen jetzt einen irren Ausdruck an.
„ Komm nicht näher,
Armandi oder ich schieße! Du willst wissen, warum ich mir nicht selber die
Hände schmutzig gemacht habe? Vor einigen Jahren sind wir beide, Niklas und ich
in einem Cabrio durch den Abend
gefahren. Urplötzlich lief so ein Idiot Niklas vors Auto, er war sofort tot.
Wir haben uns aus den Staub gemacht. Bis heute ist überhaupt nichts herausgekommen,
weil ich meinen Niklas gedeckt habe. Bis du kamst! Er wollte mich für dich
verlassen und das konnte ich nicht zulassen. Niemals gebe ich meinen Niklas
her! Niemals, ich kann ohne ihn nicht leben.“
Cello trat noch einen weiteren Schritt auf Natascha zu. „ Du
hast also die ganzen Fäden gezogen? Hast Niklas zu dem Mord gezwungen?“
Natascha lachte noch einmal kurz auf, hob die Waffe und
zielte auf Cello.
Körner konnte wegen
des Lichts nicht so schnell reagieren. Niklas allerdings reagierte sofort. Bevor
Natascha abdrückte, sprang er zu Cello hinüber und warf diesen zu Boden. Die
Kugel, die Cello hätte treffen sollen, drang mit voller Kraft in seinen Körper
ein. Natascha sah ihn fallen, schmiss die Waffe fort, fing an, sich an den
Haaren zu reißen, schrie aus Leibeskräften und ging in die Knie.
Körners Leute stürmten den Gasometer. Natascha wehrte sich
heftig, während ihr Handschellen angelegt und sie abgeführt wurde.
Ein Beamter trat auf Körner zu. „Herr Porter ist tot. Die
Kugel drang direkt in sein Herz ein.“ Taktvoll entfernte sich dieser wieder.
Körner nahm Blickkontakt mit Cello auf und lief zu ihm.
„Endlich haben wir die wahre Mörderin gefasst. Ihre Anklage beruht auf Mord und
Erpressung an Niklas Porter, Anstiftung zum Mord an Sondra Stein und zweifachen
versuchten Mordes an Ihnen.“
Er legte ihm seine Hand auf die Schulter, während beide
zusahen, wie Niklas Leiche zugedeckt wurde.
Cello sah in die Ferne. „ Wie krank muss so ein Mensch sein?
Wieso habe ich Natascha nicht schon viel früher durchschaut?“
Körner zuckte nur die Schultern. „ Der schöne Schein, Herr
Armandi, der schöne Schein!“
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